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Freitag, 27. April 2018

Leseprobe "Milan" und meine verschollen geglaubte Skizze zum Roman

Gestern habe ich sie wiedergefunden: die Originalskizze zu meinem Beziehungsroman "Milan". Obwohl sie schon über zehn Jahre alt ist, Flecken aufweist, ein paar Schönheitsfehler hat und ich stark zu Perfektionismus und Selbstkritik neig(t)e, war ich überrascht, festzustellen, dass mir der Aufbau der Zeichnung immer noch gut gefällt.




Das Bild fängt ganz gut die Beziehung der beiden ungleichen Protagonisten ein, die weniger ein Liebesverhältnis ist als eine Art Abhängigkeit der jungen Frau zu dem wesentlich älteren Milan. Lange versteht sie nicht, dass er nichts tut, um sie zu halten; einen Halt, den sie nach ihrem Verständnis und ihren Erfahrungen im Leben dringend braucht. Und trotzdem ist Milan kein Unmensch. Auf seine Art hilft er ihr, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und aus seinem Schatten zu treten.

Die Leseprobe, die ich poste, ist meine zweitliebste Stelle im Roman. Sie beschreibt das erste Treffen der beiden, an das sich die Ich-Erzählerin erst spät erinnert, denn zum Zeitpunkt der Begegnung war sie fünf Jahre alt.



Ich tanze in einem überfüllten Lokal zu den Violinen der Zigeuner, die Musik ist wild und mitreißend, ich vergesse, wo ich bin, werfe übermütig den Kopf in den Nacken und tanze, als ob ich nie etwas anderes getan hätte. Die Zigeuner lächeln mit ihren Geigen und Gitarren, streicheln meine Seele, einige Gäste klatschen im Takt der Musik und ich lasse mich treiben, die Bewegungen kommen wie von alleine. An einem Tisch sitzt meine Mutter, sie spornt mich an, ruft mir zu, sie ist sichtbar stolz auf mich. Milan betritt das Lokal, zunächst halte ich ihn für ein Mitglied der Zigeuner, denn die Kapelle hört zu spielen auf. Weiter, protestiere ich. Weiter. Meine Mutter ist auf einmal ängstlich und wütend zugleich, obwohl ich mir keiner Schuld bewusst bin, grob zerrt sie mich an ihren Tisch, ich hefte meinen Kinderblick auf Milan, er sagt: Warum tanzt du nicht mehr? Die Musik, sage ich mit schriller Stimme. Sie ist ja weg. Milan wendet sich den Musikern zu, er gibt ihnen Geld und sagt: Ihr sollt spielen, damit dieses Mädchen tanzen kann.

Zaghaft stimmen sie ihre Instrumente neu, Unterhaltungen der Lokalbesucher werden wieder lauter, aber meine Mutter hält mich fest, immer noch fixiert sie den Fremden wie das Kaninchen die Schlange. Dein Menü wird gleich serviert, zischt sie, in kindlichem trotzigem Zorn stampfe ich mit dem Fuß auf, ein paar Gäste lachen, meine Mutter beißt sich auf die Unterlippe, ich habe sie blamiert. Sie schiebt mich nach vorne, zu Milan, er ist fremd, aber als er meine Hand in seine nimmt, in seine kühle dunkle Hand, da fällt die Angst von mir ab und ich fasse ein Vertrauen zu ihm, wie es nur Kinder haben können, er ist mein Verbündeter im Kampf gegen meine strenge Mutter. Sie spielen nur für dich, sagt er. Du willst sie nicht umsonst spielen lassen, oder? Er lässt meine Hand los.

Und ich hole tief Luft und tanze, mit der unbefangenen Anmut einer Fünfjährigen, ein unbändiges Triumphgefühl bemächtigt sich meiner, der Triumph über meine Mutter und über das Wissen, die Erwachsenen in meinen Bann zu ziehen. Ich suche Milans Blick und danke ihm mit einem Lachen, seine Augen erwidern das Lachen.

Früher als üblich muss ich an diesem Abend ins Bett, meine Mutter erklärt mir nicht, weshalb, ich bekomme auch kein Abendbrot. Die ständige Furcht, sie könnte hereinkommen und mich prügeln, lässt mich nicht schlafen.

In das Lokal gehen wir nicht wieder. Vor unserer Abreise in eine andere Stadt entwische ich meiner Mutter, ich verlaufe mich, finde kein Restaurant mit Zigeunermusik, eine Frau bringt mich zum Hotel zurück.



Warum hast du mich ausgesucht im Stadttheater und mich vorsprechen lassen, hast du mich wieder erkannt, von damals, vor Jahren in dem ungarischen Lokal? Hast du gehofft, ich hätte mich nicht geändert, wäre immer noch die übermütige Kleine, die es genießt, im Mittelpunkt zu stehen?

Wenn ihn die Frage überrascht, lässt er es sich nicht anmerken, er ist ruhig wie immer, keine Kleinigkeit verrät ihn, er wartet ab, weil er weiß, dass ich noch nicht fertig bin, seine dunklen Augen sehen mich sanft an.

Hast du meine Mutter gekannt?

Möglich, sagt er vage.

Wie gut?

Das spielt keine Rolle und wird nie eine spielen. Ich habe dich nicht aufgrund deiner Mutter ausgewählt.

Und wenn es für mich eine Rolle spielt?

Dann ist das deine Sache. Aber es wäre unklug, dich damit zu belasten.

Es nimmt mich keiner mehr ernst, das hättest du nicht sagen sollen, warum willst du mich ständig erzählen lassen, wo es dir doch unwichtig erscheint.

Nein, sagt er. Du musst nur endlich einsehen, dass du nicht mein Eigentum bist, du gehörst niemandem.

Hast du nicht ein Anrecht auf mich, weil du eben stärker, logischer und erfahrener bist als ich; ich hätte nichts dagegen, dir zu gehören, lieber gehöre ich dir als meinen Eltern.

In seinen Blick tritt eine Spur von Ungeduld über meinen Starrsinn, selten erkenne ich, was er denkt, doch er hat sich sofort wieder in der Gewalt: Das ist das Prinzip, mit dem du aufgewachsen bist, es ist an der Zeit, damit zu brechen. Menschen, die verletzend sind, ob mit oder ohne Absicht, wird es immer geben. Aber es trifft dich weniger hart, wenn du weißt, diesen Menschen bist du zu nichts verpflichtet. Wenn du glaubst, ich verletze oder erschrecke dich, dann ist es deine eigene Entscheidung, zu gehen, niemand kann dich daran hindern.

Mein Wunsch wäre es, dass du es tätest. Denn für die Welt bin ich noch nicht reif genug. Der Tag wird kommen, an dem ich ohne Beklemmung auf die Straße gehen kann, mit anderen sprechen und Vorurteile abstreifen, und denke nicht, ich sehne mich nicht danach. Aber bis dahin bin ich auf dich angewiesen.

Welche Vorurteile möchtest du denn abstreifen?

Über dich und Männer im Allgemeinen. Es hört sich widersprüchlich an, aber du hilfst mir schon dabei. Manchmal, so wie jetzt, wäre nichts sinnvoll ohne dich.

Danke, antwortet Milan, ich nehme an, das ist als Kompliment aufzufassen.


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