Die Leseprobe, die ich poste, ist meine zweitliebste Stelle im Roman. Sie beschreibt das erste Treffen der beiden, an das sich die Ich-Erzählerin erst spät erinnert, denn zum Zeitpunkt der Begegnung war sie fünf Jahre alt.
Ich
tanze in einem überfüllten Lokal zu den Violinen der Zigeuner, die
Musik ist wild und mitreißend, ich vergesse, wo ich bin, werfe
übermütig den Kopf in den Nacken und tanze, als ob ich nie etwas
anderes getan hätte. Die Zigeuner lächeln mit ihren Geigen und
Gitarren, streicheln meine Seele, einige Gäste klatschen im Takt der
Musik und ich lasse mich treiben, die Bewegungen kommen wie von
alleine. An einem Tisch sitzt meine Mutter, sie spornt mich an, ruft
mir zu, sie ist sichtbar stolz auf mich. Milan betritt das Lokal,
zunächst halte ich ihn für ein Mitglied der Zigeuner, denn die
Kapelle hört zu spielen auf. Weiter, protestiere ich. Weiter. Meine
Mutter ist auf einmal ängstlich und wütend zugleich, obwohl ich mir
keiner Schuld bewusst bin, grob zerrt sie mich an ihren Tisch, ich
hefte meinen Kinderblick auf Milan, er sagt: Warum tanzt du nicht
mehr? Die Musik, sage ich mit schriller Stimme. Sie ist ja weg. Milan
wendet sich den Musikern zu, er gibt ihnen Geld und sagt: Ihr sollt
spielen, damit dieses Mädchen tanzen kann.
Zaghaft
stimmen sie ihre Instrumente neu, Unterhaltungen der Lokalbesucher
werden wieder lauter, aber meine Mutter hält mich fest, immer noch
fixiert sie den Fremden wie das Kaninchen die Schlange. Dein Menü
wird gleich serviert, zischt sie, in kindlichem trotzigem Zorn
stampfe ich mit dem Fuß auf, ein paar Gäste lachen, meine Mutter
beißt sich auf die Unterlippe, ich habe sie blamiert. Sie schiebt
mich nach vorne, zu Milan, er ist fremd, aber als er meine Hand in
seine nimmt, in seine kühle dunkle Hand, da fällt die Angst von mir
ab und ich fasse ein Vertrauen zu ihm, wie es nur Kinder haben
können, er ist mein Verbündeter im Kampf gegen meine strenge
Mutter. Sie spielen nur für dich, sagt er. Du willst sie nicht
umsonst spielen lassen, oder? Er lässt meine Hand los.
Und
ich hole tief Luft und tanze, mit der unbefangenen Anmut einer
Fünfjährigen, ein unbändiges Triumphgefühl bemächtigt sich
meiner, der Triumph über meine Mutter und über das Wissen, die
Erwachsenen in meinen Bann zu ziehen. Ich suche Milans Blick und
danke ihm mit einem Lachen, seine Augen erwidern das Lachen.
Früher
als üblich muss ich an diesem Abend ins Bett, meine Mutter erklärt
mir nicht, weshalb, ich bekomme auch kein Abendbrot. Die ständige
Furcht, sie könnte hereinkommen und mich prügeln, lässt mich nicht
schlafen.
In
das Lokal gehen wir nicht wieder. Vor unserer Abreise in eine andere
Stadt entwische ich meiner Mutter, ich verlaufe mich, finde kein
Restaurant mit Zigeunermusik, eine Frau bringt mich zum Hotel zurück.
Warum
hast du mich ausgesucht im Stadttheater und mich vorsprechen lassen,
hast du mich wieder erkannt, von damals, vor Jahren in dem
ungarischen Lokal? Hast du gehofft, ich hätte mich nicht geändert,
wäre immer noch die übermütige Kleine, die es genießt, im
Mittelpunkt zu stehen?
Wenn
ihn die Frage überrascht, lässt er es sich nicht anmerken, er ist
ruhig wie immer, keine Kleinigkeit verrät ihn, er wartet ab, weil er
weiß, dass ich noch nicht fertig bin, seine dunklen Augen sehen mich
sanft an.
Hast
du meine Mutter gekannt?
Möglich,
sagt er vage.
Wie
gut?
Das
spielt keine Rolle und wird nie eine spielen. Ich habe dich nicht
aufgrund deiner Mutter ausgewählt.
Und
wenn es für mich eine Rolle spielt?
Dann
ist das deine Sache. Aber es wäre unklug, dich damit zu belasten.
Es
nimmt mich keiner mehr ernst, das hättest du nicht sagen sollen,
warum willst du mich ständig erzählen lassen, wo es dir doch
unwichtig erscheint.
Nein,
sagt er. Du musst nur endlich einsehen, dass du nicht mein Eigentum
bist, du gehörst niemandem.
Hast
du nicht ein Anrecht auf mich, weil du eben stärker, logischer und
erfahrener bist als ich; ich hätte nichts dagegen, dir zu gehören,
lieber gehöre ich dir als meinen Eltern.
In
seinen Blick tritt eine Spur von Ungeduld über meinen Starrsinn,
selten erkenne ich, was er denkt, doch er hat sich sofort wieder in
der Gewalt: Das ist das Prinzip, mit dem du aufgewachsen bist, es ist
an der Zeit, damit zu brechen. Menschen, die verletzend sind, ob mit
oder ohne Absicht, wird es immer geben. Aber es trifft dich weniger
hart, wenn du weißt, diesen Menschen bist du zu nichts verpflichtet.
Wenn du glaubst, ich verletze oder erschrecke dich, dann ist es deine
eigene Entscheidung, zu gehen, niemand kann dich daran hindern.
Mein
Wunsch wäre es, dass du es tätest. Denn für die Welt bin ich noch
nicht reif genug. Der Tag wird kommen, an dem ich ohne Beklemmung auf
die Straße gehen kann, mit anderen sprechen und Vorurteile
abstreifen, und denke nicht, ich sehne mich nicht danach. Aber bis
dahin bin ich auf dich angewiesen.
Welche
Vorurteile möchtest du denn abstreifen?
Über
dich und Männer im Allgemeinen. Es hört sich widersprüchlich an,
aber du hilfst mir schon dabei. Manchmal, so wie jetzt, wäre nichts
sinnvoll ohne dich.
Danke,
antwortet Milan, ich nehme an, das ist als Kompliment aufzufassen.
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